Wer in den Norden reist, sucht dort die Abgeschiedenheit und die stille Schönheit der Natur, die zurückhaltende Eleganz der Städte und die Raffinesse des skandinavischen Designs. Das alles gibt es selbstverständlich auch in Helsinki.
Aber auch einen legendären Straßenmarkt, der in zwischen zu den Haupattraktionen der finnischen Hauptstadt gehört. Aber ein Besuch auf dem "Kauppatori" ist nicht nur lecker, sondern auch ein wenig gefährlich.
Ducken ist sinnlos. Und meist unnötig. Die Möwen am Marktplatz von Helsinki schneiden die Luft mit chirurgischer Präzision wenige Millimeter oberhalb des Scheitels. Sie tun nix. Sie zischen über die Köpfen der Flaneure hinweg, warten auf eine Chance, eine Eiscremekugel von der Waffel abzustreifen oder eine Krabbe vom Tellerrand zu stibitzen.
Da helfen auch nicht die Netze, die über dem Markt gespannt sind, um die Vögel von den Ständen wegzuhalten.
Die Möwen hocken auf den nackten grünen Schultern der bronzenen Havis Amanda, einer Meerjungfrau, die seit über hundert Jahren hier vom Wasser eines einem Springbrunnens umspielt wird. Die Möwen lauern an den Masten der Boote, die im Hafen eine Seite des Markts säumen oder auf den Straßenlaternen und Dächern prachtvoller Stadtpaläste, die die andere Seite des Kauppatori flankieren, des Marktplatzes von Helsinki.
Märkte gibt es in Helsinki viele. Sogar eine aufwendig restaurierte pittoreske Markthalle lockt mit landestypischen Angeboten. Doch nirgends schmecken Bärenfleisch-Eintöpfe, Renntierschinken, Krabben und selbst das triviale Lachsfilet mit Preiselbeeren-Garnitur besser, als unter den spitzen roten und orangenen Zeltdächern des Kauppatori.
Rotbackige blonde Köchinnen mit keck um das Haar gebundenen Tüchern rühren dort in den Töpfen und Pfannen, die Ausmaße und Form riesiger spanischer Paella-Pfannen haben. Hat man das Essen einmal auf dem Pappteller und in der Hand, gilt es, sich mit den Schultern, den Ellbogen und dem Oberkörper darüber zu wölben, um es sicher an den Möwen vorbei an den Tisch zu bringen.
Im Sitzen sollte man dann auch am Besten die Pose behalten, die in der Schule Streber annehmen, die nicht wollen, dass man von ihnen abschreibt: Alles meins! Dass es köstlich iss, versteht sich. Nur der Preis hemmt ein wenig den Appetit. Aber es lohnt sich, auch ohne zu mampfen, kurz sitzen zu bleiben – vielleicht entdeckt man an einem der Nebentische den einen oder anderen finnischen Minister, Abgeordneten oder Uniprofessor, die ihre Arbeitsplätze um die Ecke haben und hierher gerne in der Mittagspause kommen.
Oder man schaut auf die Wellen des Cholerabeckens – die Finnen sind so hart im Nehmen, dass sie nicht mal dran gedacht haben, den gruseligen Namen der Bucht zu ändern. Anfang des 19. Jahrhunderts wurden hier nämlich Tierkadaver entsorgt. Heutzutage werfen die trink- und spaßfesten Miglieder der Finnischen unwissenschaftlichen Gesellschaft immer noch Sachen in das Becken – am 25 Juli, wenn der Jakobstag, Jaakonpäivä gefeiert wird. Inzwischen liegen unten im Wasser bereits ein Brocken des Ätna, eines vom Volga-Ufer, ein Stück Meteorit, und jeder Menge ähnlich kuriosen Gesteins…
Sieht man von oben aber nicht, also vielleicht lieber umdrehen und sich über Touristen amüsieren, die auf dem Weg von ihren gerade angedockten Fähren und Kreuzschiffen durch die Marktgassen ziehen. Für sie gibt es hier schräge bunte Mützen mit albernen langen Ohren oder gekrümmte Taschenmesser mit Griffen aus Birkenwurzel – super-mega scharf und selbstverständlich mega-super echt.
Aber am Besten man genehmigt sich noch einen Kaffee und schaut eleganten Finninnen in großflächig geblümten Klamotten im weltberühmten Marimekko-Design zu, wie sie im Juni Kirschen oder im Oktober eingelegte frische Heringe kaufen.
Und wenn man Glück hat, haben Zuckererbsen gerade Saison. Die Schoten werden in großen Edelstahlbechern literweise abgemessen. Und eine Tüte Zuckererbsen, das ist in Helsinki auch bei den Möwen unbestritten, ist die süßeste Versuchung, seit es den Kauppatori, den Markt am Hafen, gibt.