„Es war einmal in Amerika“, „Spiel mir das Lied vom Tod“, „Cinema Paradiso“ – diese und viele andere Filme sind nicht nur wegen der Schauspieler und spannender Geschichten weltbekannt, sondern auch für ihre Soundtracks. Ennio Morricone, der große italienische Meister der Filmmusik, hat für Sergio Leone, Bernardo Bertolucci und etliche andere Regisseure nicht nur Melodien geschaffen, sondern ihren Filmen ganz besondere Magie verliehen. Was weniger bekannt ist – Ennio Morricone hat sein Leben lang auch ernste klassische Musik komponiert, sogenannte absolute Musik. Morricone starb 2020. Seine Familie und die Stiftung wollen nun das Oevre des Komponisten der Welt zugänglich machen. Dabei soll die Berliner Firma Europäische FilmPhilharmonie helfen.
Es begann mit Frust, erinnert sich Fernando Carmena. Frust darüber, dass es keine vernünftige Edition von Ennio Morricones Musik gab. Carmena ist künstlerischer Leiter der Berliner FilmPhilharmonie, die sich mit den konzertanten Aufführung berühmter Filmmusik beschäftigt. „Wenn wir etwas vorführen wollten aus den Filmen wie The Mission oder Cinema Paradiso, oder wenn uns Orchester nach offiziellem Notenmaterial fragten, konnten wir nur auf Arrangements verweisen. Sie waren zwar gut, aber sie klangen nicht nach Morricone.“
Die FilmPhilharmonie beginnt Partituren zu erarbeiten, auf Basis von möglichst originalgetreuen Transkriptionen. Das ist legal, dennoch bekommt Carmena Post vom Anwalt der Morricone-Familie: „Wir beschlossen, uns in New York zu treffen, um unsere Transkription auszuhändigen und dafür das Original zu bekommen. Aber dann wurde klar, dass wir die gleichen Ziele haben. Nämlich, die unbekannten Werke Morricones als Konzertmusik publik zu machen. Und wir waren uns einig, dass wir kein Kanon-Werk, keine Faksimile-Ausgabe veröffentlichen wollen, sondern ein facettenreiches Portrait des Komponisten, inklusive seiner absoluten Musik.“
Der Familie ist wichtig, sagt Giovanni Morricone, der jüngste Sohn des Komponisten, dass das Projekt die künstlerischen Aspekte über die kommerziellen stellt. Es geht also darum, zu zeigen, dass Ennio Morricones Vermächtnis weitaus mehr ist, als Soundtracks für ikonische Italo-Western oder epische Hollywood-Klassiker. „Ja, manchmal hat er für Filme komponiert. Manchmal war es absolute Musik. Aber es hatte immer ein Element, das er immer sehr darauf bedacht war zu unterstreichen, nämlich dass die Musik für sich alleine stehen sollte.“
In den über 70 Jahren seines Schaffens hat Morricone Musik für mehr als 500 Filme und weit über hundert Werke der absoluten Musik – Konzerte, Kammermusik, eine Messe für den Papst Franziskus, ein Requiem, einige Kantaten. Er ist einer mit zwei Seelen in seiner Brust. Ein klassisch ausgebildeter Musiker und Komponist, der sich auch mit experimenteller Musik beschäftigt. Gleichzeitig ist Morricone Familienvater, der Geld verdienen muss. Dafür arrangiert er sehr erfolgreich Popsongs und schreibt dann Filmmusik, vor allem für seinen Schulfreund, den Regisseur Sergio Leone.
Nun sitzen also Fernando Carmena und Giovanni Morricone an einem Tisch in Berlin-Mitte im Büro der FilmPhilharmonie. Es kommt viel Arbeit auf sie zu, vor allem auf die FilmPhilharmonie. Denn Morricones Originalmanuskripte sind oft funktionale Partituren, aufbereitet für Aufnahmesituationen eines Films. Für einen Konzertsaal muss diese Musik neu interpretiert werden, sagt Fernando Carmena: „Zum Beispiel, haben wir aus Rom einen Notenauszug aus dem Film Cinema Paradiso bekommen, wo die Violine und die Celesta, eine Art Miniklavier, die gleiche Melodie zur gleichen Zeit spielen. Sie werden weder im Film oder noch auf einer Aufnahme dieses Stücks die Stelle finden, wo die Celesta und die Violine gleichzeitig spielen. Das bedeutet, dass wir etwas Zusätzliches kreieren müssen, eine kritische Interpretation, speziell für ein Konzert aufbereitet.“
Weil Ennio Morricone beim Dirigieren seiner Werke oft Änderungen vornahm und diese nirgends notiert wurden, muss das Team um Fernando Carmena nun nahezu detektivisch vorgehen. „Ich muss mir zum Beispiel den fünfstündigen Film 1900 von Bertolucci ansehen, nur um herauszufinden, was man mit zwei bestimmten Takten machen soll. Aber das ist der Weg, den wir gehen müssen.“
Es ist Arbeit für die nächsten drei-vier Jahre, meint Carmena. Zuerst sollen die Werke aufgearbeitet werden, die auch in Konzerten aufgeführt werden.
„Wenn es um einen Komponisten geht, der hauptsächlich für seine Filmmusik bekannt ist, gibt es die Tendenz, nach dem bekanntesten Titel zu verlangen. Ein bekannter Titel gibt vielleicht Garantie dafür, dass die Leute ins Konzert kommen. Die Orchester, mit denen wir bereits sprachen, sind aber auch sehr offen, die absoluten Werke Morricones zu spielen, weil es sie reizt, diese riesige Figur zu entdecken.“
Es verspricht, eine spannende Entdeckungsreise zu werden. Denn die filmischen und klassischen Werke Morricones seien eng miteinander verbunden. Fragmente experimenteller Musik aus den Fünfzigern finden sich in Blockbuster-Soundtracks aus den Siebzigern. „Und auf der anderen Seite hat er manchmal absolute Musik geschrieben, die sehr zugänglich ist, wie das Konzertstück Ostinato Ricercar Per Un Immagine. Und wenn man’s hört, könnte man sagen: Oh, das ist offensichtlich der Komponist von Deborahs Theme aus „Once Upon a Time in America“.“
Der Radiobeitrag wurde ausgestrahlt in der Sendung Tonart im WDR 3 am 19.02.2024 und kann über diesen Link in der ARD-Mediathek angehört werden.