Die Kampagne „Mental Health in Fashion“ will auf die psychischen Gefährdungen in der Modebranche aufmerksam machen. Laut dem Initiator Florian Müller wächst der Druck auf die Beteiligten. Doch die Branche achtet bislang zu wenig darauf.
„Ich bin psychisch krank – und das hat viel mit der Modeindustrie zu tun.“ Das schrieb im Mai 2022 Alexandra Bondi de Antoni, ehemalige Redaktionsleiterin der Online-Ausgabe der Modezeitschrift „Vogue“, in einem offenen und langen Text über die Schattenseiten der Fashionwelt [vogue.de]. Eine Welt, die gerade in Berlin mit der Fashion Week für viel Glamour sorgt. Schöne Menschen in spektakulären Outfits über Catwalks, treffen sich an beeindruckenden Locations, präsentieren neue Looks und setzen Trends.
Wie es hinter den Kulissen aussieht, wissen nur die unmittelbar Beteiligten und Kenner der Branche, wie der Berliner PR-Manager und Dozent Florian Müller. Und weil er die Szene kennt, hat er letztes Jahr die Initiative Mental Health in Fashion ins Leben gerufen. Er will für das Thema der mentalen Gesundheit in der Mode sensibilisieren.
„Extremer Stress“
„Eine Fashion Week ist ein perfektes Beispiel für die Problematik, wenn wir über die mentale Gesundheit in der Mode nachdenken“, sagt Florian Müller. Die Tage sind mit Branchentreffs und Defilees gefüllt. Klingt zwar toll, bedeutet aber auch: ungesunde Ernährung, zu wenig Schlaf, extremer Stress. Da existiere überhaupt kein Rahmen, um sich mitteilen zu können, um Sichtbarkeit zu schaffen für mentale Erkrankung: „Wenn jemand während der Fashion Week anfangen würde, über seine mentale Gesundheit zu reden, würde wahrscheinlich das komplette Team durchdrehen. Jetzt kann man den Leuten eigentlich nur noch wünschen, dass sie das irgendwie einigermaßen unbeschadet durchstehen.“
„Sichtbarkeit schaffen“
Florian Müller weiß, wovon er spricht. Seit zwanzig Jahren ist er in der Modeindustrie aktiv, hat in Berlin eine PR-Agentur gegründet und Modeschauen gemanagt. Geschichten von Stardesignern wie der Brite Alexander McQueen oder der Spanier Manuel Mota, die sich das Leben nahmen, finden mediales Echo. „Ich kenne aber auch sehr viel Leid, was ich tagtäglich eigentlich in verschiedenen Positionen immer wieder gesehen habe“, sagt Müller. Selbst wenn es um nachhaltige Fashion geht, seien die Strukturen der Branche nach wie vor oft ungesund.
Anstatt der Branche enttäuscht den Rücken zu kehren, lässt er sich psychotherapeutisch ausbilden und gründet 2023 die Initiative „Mental Health in Fashion“. Sein Hauptziel: „Sichtbarkeit zu schaffen“. Zum Beispiel, indem er das Thema an der AMD Akademie Mode & Design in Berlin-Prenzlauer Berg unterrichtet. Sein Kurs heißt „Sustainable Business Psychology and Leadership“, Nachhaltige Wirtschaftspsychologie und Unternehmensführung.
„Jeder hat schon mal den Druck der Branche gespürt“
Die Studentin Jenny Richter erinnert sich gut, dass es Beklemmung im Raum gab, als Florian Müller sein Anliegen erläuterte: „Das hing damit zusammen, dass jeder irgendwo schon mal was davon erlebt hat und diesen Druck gespürt hat, den die Branche auf uns ausübt.“ Kreative Ergebnisse wie am Fließband zu liefern sei die Realität in der Modeindustrie, so Richter. Denn Fast-Fashion-Ketten würden inzwischen wöchentlich neue Kollektionen herausbringen.
Zusammenhänge erkennen
Im Kurs über mentale Gesundheit in der Fashionwelt hat sie aber überrascht, wie weitgreifend das Problem ist: „Wir kennen die ganz großen Designerinnen und Designer, die psychische Erkrankungen haben. Wir können uns vorstellen, dass Models unter Essstörungen leiden. Vielleicht können wir uns auch noch überlegen, dass es schwierig ist für die Näherinnen und Näher in Bangladesch.“
Aber dass auch in den Betrieben, wo beispielsweise Baumwolle angebaut wird, große Existenzängste herrschen, weil der finanzielle Druck enorm ist, darüber hat Jenny Richter zuvor nie nachgedacht. „Dabei plagen auch sie Sorgen um die Ernte, die vielleicht, auch im Zuge des Klimawandels, nicht so groß ausfallen könnte“, so Richter. Sie sei seit Jahren in der Modebranche tätig.
Nach dem Kurs von Florian Müller erkennt sie, welche Kreise das Problem der psychischen Belastungen entlang der ganzen Lieferkette zieht, bis in die Shoppingmalls der sogenannten ersten Welt. „Dass wir dann die Lieferanten und Lieferantinnen haben, die Touren fahren müssen, die weit über den normalen Arbeitszeitraum hinausgehen und dass wir eben auch die Konsumenten da mitreinnehmen in diese ganze Kette, die von der Modeindustrie ja einen enormen Druck verspüren immer, dem Trend zu folgen und oft ja gar nicht das Geld dafür haben.“
Jedes einzelne dieser Probleme ist längst bekannt – allerdings noch nicht explizit unter dem Aspekt der psychischen Belastungen für die Beteiligten betrachtet worden.
Modewelt nicht pauschal an den Pranger stellen
Kann eine einzelne Berliner Initiative bei diesen ineinander verzahnten Problemen überhaupt etwas ausrichten? Durchaus, meint Florian Müller, indem man darüber redet. 2023 war er mit seinem Anliegen bereits an der Berliner Fritz-Reuter-Oberschule und bei der Hong Kong Fashion Week. Müller sagt, er will die Modewelt nicht pauschal an den Pranger stellen, dafür arbeite er zu gerne in der Branche.
Er will aber auch nicht die Illusion einer Perfektion befördern, die die Fashionwelt beherrscht: „Die perfekte Welt hat keinen Raum für Probleme.“ Mit seiner Kampagne „Mental Health in Fashion“ will er das Thema psychische Gesundheit in der Mode entstigmatisieren. Denn erst, wenn klar wird, wie viele das Problem betrifft, wird die Branche bereit sein für eine Veränderung.
Erste Erfolge kann Müller bereits verbuchen: Das ASVOFF Fashion Film Festival, das als eine der wichtigsten Plattformen für Image- und Werbefilme oder Dokumentationen über die Modebranche gilt, widmet ab November 2024 dem Thema eine eigene Kategorie. Am Wettbewerb sollen Produktionen teilnehmen, die das Thema psychische Gesundheit direkt im Modeumfeld behandeln. Und eine Uni in Ostasien überlegt nun, „Mental Health in Fashion“ ins Lehrprogramm aufzunehmen.
Veröffentlicht auf rbb24.de
Der Audiobeitrag: Sendung: rbbKultur, 07.02.2024, 16:45 Uhr