Mehr als Geräusche: Die CD „Sounds of Stabi“ setzt der Staatsbibliothek am Kulturforum ein akustisches Denkmal.

Im Wim Wenders´ Film „Himmel über Berlin“ laufen die beiden Engel Damiel und Cassiel durch den Lesesaal der Staatsbibliothek am Kulturforum. Sie gehen an Menschen vorbei, die in Regalen stöbern oder an Tischen lesen, nachdenken, schreiben. Untermalt wird die berühmte Szene durch ein Gemurmel. Es sind Zitate, Gedanken, Satzfetzen. So würde wahrscheinlich eine Bibliothek klingen, wenn sie denn könnte. In Wirklichkeit klingt die Staatsbibliothek nicht weniger spannend als im Film. Das beweist die CD „Sounds of Stabi“, die gestern in der Staatsbibliothek vorgestellt wurde.

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Wer die Staatsbibliothek kennt, wird bei diesen Geräuschen sofort die Bilder sehen: Das Foyer: dunkel, hallig, verwinkelt. Tiefe, einst weiße Decke, von der hier und da schwungvoll gebogene Platten herunterhängen und helle Flecken auf die grau-braunen Bodenplatten werfen. Glasbausteinfenster schimmern bunt. Säulen, Ecken, Schränke, Schrägen, Treppen. Dahinter noch mehr Raum; er breitet sich aus, verschwindet im Schatten, kein Ende in Sicht.

Von oben aber strahlt es hell. Eine breite, mächtige Treppe lockt – metaphorisch und buchstäblich – hinauf, ins Licht, zur Erleuchtung. In den Lesesaal, von dem die Schriftstellerin Judith Schalansky mal schrieb: „Undenkbar, dass ich ohne diesen Ort auch nur eines meiner Bücher geschrieben hätte.“

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Für unzählige Gelehrte, Schreibende, Studierende ist die Staatsbibliothek am Berliner Kulturforum das Treibhaus ihrer Kreativität. Für den Rest der Welt – eine Architekturikone der Nachkriegszeit. Konzipiert von Hanns Scharoun als Ort für das Individuum in der Gemeinschaft, sagt Christian Mathieu, wissenschaftlicher Mitarbeiter der Stabi: „Scharouns Idee war ein demokratischer Raum, richtungslos, tendenziell als ein großes offenes einheitliches Raumkontinuum geschaffen, der eben auch die Möglichkeit schafft, dass sich Menschen austauschen.“

So ganz konnte der Plan nicht umgesetzt werden. Lesen, Reden, Denken im selben Raum ging in den 1970ern, als die Stabi gebaut wurde, trotz aller bauakustischer Raffinessen doch nicht so gut. Dennoch ist die Staatsbibliothek, dank der vielen Raumkonstellationen zu einem Ort mit einzigartiger Klanglandschaft geworden.

Seiten umblättern, auf der Laptop-Tastatur schreiben, Husten, Flüstern, Notizen machen. Dieser Sound of Stabi hat den Berliner Hörverlag speak low dazu inspiriert, gemeinsam mit Christian Mathieu und der Medienwissenschaftlerin Hannah Wiemer von der Humboldt-Universität, eine akustische Erkundung des Scharoun-Gebäudes zu wagen. Sie umfasst mehrere Stationen – vom Eingang über die Cafeteria bis hin zur Kastenförderanlage. Für das Publikum unsichtbar schiebt sie leise ratternd Bestellungen aus den Archiven zu den Ausgabestellen.

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Der Sound of Stabi ist nun auf einer MP3-Doppel-CD festgehalten. Gesamtlänge über neun Stunden. Darauf – ein virtueller Rundgang und viele Audiotakes. Die eine CD kann über Stereolautsprecher abgespielt werden. Die andere aber kommt nur über Kopfhörer zur Geltung. Denn sie enthält binaurale Aufnahmen, die dem natürlichen dreidimensionalen Hören mit beiden Ohren nachempfunden ist. So wird es möglich, auch im überfüllten U-Bahn-Waggon oder im Urlaub am Strand das Klangbild des Stabi um sich zu haben. Als einen akustischen Zufluchtsort oder als Quelle der Inspiration.

„Die Staatsbibliothek am Potsdamer Platz ist eben keine Bibliothek wie viele anderen auch, sondern es ist ein Raum, der eben mit Bedeutung inkrustiert ist“, sagt Christian Mathieu: „Wir wollen dem Haus ein Monument setzen, auch für die Zeiten, in dem es eben dann geschlossen sein wird.“

Denn der Stabi steht ein langes Make over bevor. Sie soll einen zweiten Eingang auf der Rückseite bekommen. Und mehr akustisch angepasste Räume für verschiedene Arbeitssituationen, ob still und einsam oder in gesprächiger Gemeinschaft.

Das scheint im Sinne Hans Scharouns zu sein. Dennoch – der Sound of Stabi wird sich ändern. Für alle, die den akustischen Augenblick aber festhalten wollen, gibt es nun die gleichnamige CD.

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Die Doppel-CD „Sounds of Stabi“ ist im speak low-Verlag erschienen und kostet 20 €. Sie bietet einen Hörspaziergang sowie im Booklet einen Essay zum akustischen Inspirationspotenzial von Hans Scharouns Entwurf des Bibliotheksgebäudes. Wer aber nur am reinen Sound interessiert ist, kann die Aufnahmen von der Internetseite der Staatsbibliothek kostenlos downloaden.

Ein Radiobeitrag für rbbKultur:Radio am 12.01.2024

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