Berlin hat eine brodelnde Tanzszene – unzählige Bühnen für moderne Bewegungskunst, ein Festival jagt das nächste. Allein im Januar gab es bereits drei spannende Tanz-Events, allen voran die Tanztage Berlin. Am 1. Februar, beginnt schon das nächste – „Litauen tanzt.“ Zum vierten Mal präsentiert sich in Berlin die spannende Tanzszene des kleines Landes im Baltikum. Die Frau, die die Idee dazu hatte, ist Ingrida Gerbutavičiūte.
Ingrida Gerbutavičiūte ist keine Berlinerin mehr. Sie ist vor kurzem nach Frankfurt am Main umgezogen – ihr Mann hat dort einen Job bekommen. Sie vermisst Berlin: "Das Kosmopolitische, die Vielfalt an Menschen, an Meinungen, Kunstformen und die Freiheit zu Experimentieren."
Ingrida Gerbutavičiūte hat zu schätzen gelernt, dass das Berliner Publikum, die kreative Szene, sehr offen allem Neuen gegenüber ist. In ihrer Heimat Litauen haben die Zuschauer öfters vorgefertigte Meinungen, wie etwas zu sein hat, welche Technik, welcher künstlerischer Ausdruck „richtig“ sind. In Berlin dagegen, sagt sie, gibt es keine Normen.
"Es ist gut, Abstand zu halten"
Seit über zehn Jahre pendelt Ingrida Gerbutavičiūte zwischen Deutschland und Litauen. In Berlin hat sie Germanistik und Tanz studiert. In Vilnius leitet sie einen Lehrstuhl für modernen Tanz und berät das Kulturministerium in Fragen zeitgenössischer Bewegungskunst. Das ständige Hin und Her stört sie nicht:
"Das hilf mit sogar, denn wenn ich eine gewisse Zeit in Vilnius bin und arbeite dort, wir machen verschiedene Projekte, und das ist sehr gut, wenn ich nach Berlin gehe, einen Abstand zu nehmen und kritischer zu gucken, was für Probleme haben wir in Litauen und wie wir diese Probleme lösen könnten."
Ingrida Gerbutavičiūtė hat als kleines Mädchen klassisches Ballett gemocht und das dann auch 13 Jahre lang gelernt und getanzt. Semiprofessionell, wie sie sagt. Aber mit 17 lernte sie die Ästhetik und die Aussagen der zeitgenössischen Bewegungskunst kennen und verstand, was sie mit ihrem Leben anstellen will.
Und sie hat früh festgestellt, dass ihr das Organisieren liegt. „Ich mag koordinieren, ich mag von den Tanzleuten umgeben zu sein. Dann habe ich angefangen zu schreiben, weil ich den Text sehr gerne mag, – sie deutet mit den Händen das Schreiben an – und ich mag mit dem Text zu hantieren, wenn ich schreibe.“ Wenn Ingrida Gerbutavičiūtė schreibt, dann über das Tanzen. Kritiken und Essays.
Zwei Identitäten
Sie hat auch heute, mit 33, die schlanke grazile Figur einer Tänzerin. Haare trägt sie nur auf einer Seite des Kopfes. Die andere Seite rasiert ihr Mann alle paar Wochen glatt. So hat sie zwei Profile, zwei Gesichter – ein fast schon sinnträchtiges Erscheinungsbild für jemanden, der zwischen zwei Ländern lebt. Im Berliner Festival „Litauen tanzt“ hat Ingrida Gerbutavičiūtė ihre beiden Identitäten vereint.
Als 2012 die erste Ausgabe stattfand, wollte sie einfach zum ersten Mal in Berlin moderne litauische Kunst präsentieren. Zumal viele Berliner Studienkollegen sie nach der Tanzszene ihrer Heimat ausfragten. Sie sei durchaus vielfältig, versichert Ingrida Gerbutavičiūtė. Hat aber noch kein ausgeprägtes Profil. Außerdem fehle ihr etwas ganz Wesentliches: „Die Litauer sind zu wenig sozialkritisch. Vor allem im Vergleich zu anderen Ländern. In Deutschland sind Künstler sehr sozialkritisch oder politisch kritisch. Was natürlich eine der Rollen der Künstler ist. Und ich wünsche unseren Künstlern aus Litauen etwas stärker ihre Stimme zu äußern, was die Politik betrifft, was die soziale Lage betrifft."
Berliner Wurzeln
Und es gab noch einen Grund, warum es für Ingrida Gerbutavičiūtė ein Herzenswunsch ist, litauische Tanzkunst nach Berlin zu holen: „Ein symbolischer Grund war, dass die Wurzeln des modernen Tanzes in Litauen greifen auf Berlin zurück. Weil die Begründerin des modernen Tanzes in Litauen, Danuta Nasvetite, hat 1939 die Jutta Klamt Schule in Berlin abgeschlossen. Dann kam sie nach Kaunas und versuchte, die neue Tanzschule zu etablieren.
Heute tanzen die Litauer Konzepttanz und Hiphop, entwickeln Arbeiten voller Metaphern und Andeutungen, die internationale Beachtung finden. In der aktuellen vierten Ausgabe ihres Festivals hat Ingrida Gerbutavičiūtė neben neun litauischen Produktionen auch Gäste aus Estland dabei. Es sieht fast danach aus, als ob sie damit liebäugeln würde, aus „Litauen Tanzt“ irgendwann ein baltisches Festival zu machen.
Beitrag im Kulturradio am 1.02.2017
Homepage des Festivals "Litauen tanzt"