Der Park Sanssouci ist nicht nur ein beeindruckender Vorgarten für das gleichnamige Schloss. Das weitläufige Gelände beherbergt viele Architekturschätze – das Neue Palais, den Freundschaftstempel, die Friedenskirche im Marlygarten. Ein ganz besonders Schätzchen ist aber das Chinesische Haus am südöstlichen Rand des Parks. Für diesen Gartenpavillon soll Friedrich der Große höchstselbst die Skizzen angefertigt haben. Und das Gebäude zeigt, welche Vorstellungen von China damals in Europa herrschten. Heute wirken sie nämlich ziemlich skurril. Das kann man bei einer Führung erleben, die das pagodenartige Häuschen genau unter die Lupe nimmt.
„Wie sie sehen, es gibt hier Außenhallen und Kabinette, die sich abwechseln. Die Außenhallen werden durch Säulen, die aussehen wie Palmen gehalten, alles wird umfasst von einem zeltartigen Dach“, erzählt Verena Lührsen. Sie steht vor dem pagodenartigen hellgrünen Bau und erklärt, was ihn so besonders macht.
Beeindruckend sind vor allem seine vergoldeten menschengroßen Figuren. Sie sind in den Einbuchtungen zwischen den Mauern einzelner Kabinette zu graziösen Gruppen arrangiert sind. An den Wänden sind Skulpturen von Musizierenden angebracht: alle spielen verschiedene Instrumente, die Mitte des 18. Jahrhunderts in Potsdam für Chinesisch gehalten wurden. Passend dazu folgen in der Führung „Imagination einer fernen Welt“ auf kurze Vorträge musikalische Intermezzi.
Die Kunsthistorikerin Verena Lührsen und der Spezialist für historische Perkussion Michael Metzler überbieten sich mit Beobachtungen rund um das Chinesische Häuschen. Sie zeigt in einer Mappe alte Bilder, er holt aus der großen Tasche immer neue Instrumente hervor – chinesische und auch europäische. Beide führen vor, wie die Vorstellungen von einer fremden Kultur in der Verzierung eines europäischen Bauwerks umgesetzt wurden. Warum etwa hält eine der Skulptur spanische Kastagnetten in der Hand? Und eine andere – eine Tambourin. Eine chinesische Trommel ist zwar auch rund, wird aber ganz anders gehalten und gespielt.
Verena Lührsen bleibt stehen vor der sogenannten Skulptur der Jackfruit-Esser. Menschen in asiatisch anmutender Kleidung mit langen trichterartigen Ärmel reichen sich dabei eine große Frucht: „Und da sieht man die Ideen von den Reiseberichten aus dem 17. Jahrhundert, die sich in den Skulpturen zeigen.„
Denn am preußischen Hof wusste man nur vom Hörensagen, wie es im Reich der Mitte aussieht. Und die Kostbarkeiten, die Abenteurer von ihren Reisen mitbrachten, fachten die Fantasie eher an. Verena Lührsen zeigt, wie die Gestalter der Rokoko-Zeit versuchten, den Geist Chinas einzufangen. Viele der Figuren tragen zum Beispiel breite Hüte, die an exotische Blüten erinnern. Und greifen damit den floralen Dekor der Hauswände oder der Palmensäulen auf: „Sie beziehen sich auf das gesamte Gebäude. Und deswegen ist eigentlich sehr schön, dass auch die Hüte und die Kleidung vegetative Formen annimmt.„
Das sei damals nicht despektierlich gemeint gewesen und soll auch heute so nicht verstanden werden. Die Fragen etwa nach kultureller Aneignung, die heute so virulent debattiert werden, greifen im Fall des Chinesischen Hauses nicht, meint Lührsen. „Ich glaube, dass die Begriffe nicht wirklich anwendbar sind, die sind möglicherweise später, im 19. Jahrhundert, anwendbar.„
Denn im 17. und 18. Jahrhundert sei China ein Land, das von den Europäern nicht kolonialisiert wurde, nicht ausgebeutet, noch nicht. Die Zeiten Friedrich des Großen waren von Chinoiserie geprägt, der Faszination für alles Ostasiatische. Verklärung, Unkenntnis und Imagination führten bisweilen zu absurden Vorstellungen, sagt Michael Metzler und zeigt auf eine Skulptur: ein Mann mit einem Saiteninstrument in der Hand. „Die Darstellung dieses Saiteninstruments, mit diesen wahnsinnig vielen Saiten, aber ohne Schallkörper, ohne Resonanzkörper, quasi wie ein riesiges Griffbrett, das wäre technisch nicht spielbar … es würde nicht klingen. Das ist für mich ein sehr gewagtes Instrument.„
Dennoch, die Art, wie der preußische Hof China sah, findet auch der Musikhistoriker Michael Metzler eher rührend als exotisierend: „Es sind keine Karikaturen, sondern sehr edel alles, sehr erhaben, mit Gold, das macht Eindruck, man hat sich nicht lustig darüber gemacht, sondern mit Faszination versucht darzustellen.„
Sollte es sich dabei um die heute kritisch gesehene kulturelle Aneignung handeln, sei sie damals mit viel mehr Respekt gefüllt gewesen, so das Fazit von Michael Metzler
Ein Beitrag für das rbbKultur – Radio, 05.08.2023