Guilty Pleasures: Der Fotografin Odeta Catana zeigen Menschen ihre geheimen Laster.

Jeder von uns hat eine heimliche Leidenschaft. Und es wäre uns vielleicht gar nicht recht, wenn jemand dahinter käme, denn manch ein persönliches Vergnügen könnte ein wenig peinlich sein… Doch die rumänische Fotografin Odeta Catana hat es geschafft, Menschen und ihre Laster zu porträtieren. Die Serie wurde weltweit gefeiert. Nun sind die Bilder im Rumänischen Kulturinstitut in Berlin zu sehen.

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Eine junge nackte Frau liegt auf dem Bauch und schaut verträumt in die Ferne, in der Hand hält sie einen Fön. Unter dem Foto steht: "Ich fühle mich schlecht, wenn ich sage, ich tue das gerne. Weil ich weiß, wie verrückt das klingt." Das heimliche Laster der Frau ist: Nackt schlafen mit dem Geräusch eines Föhns.

Eine Afrikanerin, die sich dafür schämt, die bunte grelle Kleidung ihrer Heimat in Deutschland nicht öffentlich tragen zu wollen. Ein Rumäne, der leidenschaftlich gerne Streichhölzer verbrennt und bekennt: "Ich fühle mich schlecht, weil ich es mag, zuzusehen, wie die komplexesten Dinge vom Feuer aufgefressen werden."

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Ich bin eine schüchterne Person und verstecke mich lieber hinter der Kamera, gibt Odeta Catana zu.

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Das Dogma des NOMA. Ein spannender Dokumentarfilm blickt hinter die Kulissen eines der besten Restaurants der Welt.

Bilder können keinen Geschmack vermitteln. Sie können erzählen, dass etwas kross gebraten, dampfend heiß oder roh und naturbelassen ist. Doch wie Seeigel mit Haselnüssen oder unreife Holunderbeeren in Salzlake munden – das bleibt das Geheimnis des Films über das beste Restaurant der Welt, das NOMA in Kopenhagen.

k_10Rentierflechte-CopyrightPierreDeschamps Rentierflechte.  © Pierre Deschamps

Bilder können also nichts über Geschmack verraten. Sie können aber spannende Geschichten in betörenden Bildern erzählen. Und so erzählt der Film die Geschichte eines Kochs und seiner Vision, die die kulinarische Welt veränderte und der nordischen Küche und vor allem Dänemark einen weltweiten hypeartigen Ruhm bescherte.

 01_Rene+Redzepi+testet+gemeinsam+mit+seinem+Gericht+neue+GerichteRene Redzepi testet neue Gerichte. ©Pierre Deschamps

 

Enfant terrible der Haute cuisine

René Redzepi ist ein Superstar der nordischen Food Szene und ein Enfant terrible der Haute cuisine. Denn er kredenzt seinen Gästen Ameisen und Rinden, fermentierte Wurzeln und geräuchertes Moos.

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Ligia Lewis: „Berlin ist nicht mein Zuhause, aber der Ort, wo ich tun kann, was ich will.“

Ligia Lewis ist eine feste Größe in der Berliner Tanzszene. 2015 gewann sie mit ihrer in Berlin kreierten Choreografie Sorrow Swag den renommierten Prix Jardin d’Europe beim ImPulsTanz Festival in Wien. Ein Ritterschlag in der europäischen Tanzcommunity. Am 24. November 2016 präsentierte die Amerikanerin ihr e zweite große Choreografie Minor Matter im Hebbel am Ufer. Ein Besuch bei der Probe

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Ligia Lewis sitzt vorne auf der Bühne und liest vom Display ihres Handys einen Text ab. Eine Passage aus Herman Melvilles Erzählung Bartleby, der Schreiber, in der ein weltentrückter Angestellter sich seiner Arbeit, seinem Umfeld und schließlich dem Leben verweigert – immer mit dem sanftmütigen Spruch „Ich möchte lieber nicht“. „ I´d prefer not to“.

"Wir spielen mit westeuropäischen Bildern."

Der Text geht in Tanz über, Ligia Lewis und einer ihrer beiden Tanzpartner trippeln entlang der Bühnenkante, während der andere Maurice Béjarts Choreografie zum Ravels Bolero paraphrasiert:

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Die Rückkehr des Prinzen. Vladimir Malakhov tanzt wieder in Berlin.

Er ist wieder da. Zwei Jahre nach seinem wahrlich unfreiwilligen Abschied vom Staatsballett meldet sich der Startänzer Vladimir Malakhov zurück. Er zeigt dem Berliner Publikum eine Neuauflage seiner erfolgreichen Show Malakhov & Friends. Bereits zu seiner Zeit als Intendant des Staatsballetts war sie ein Riesenerfolg.

 

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Diesmal wird die Show allerdings nicht auf einer der Bühnen stattfinden, die das Staatsballett bespielt, sondern im Admiralspalast, auf einem neutralen Territorium sozusagen. Und Vladimir Malakhov hat nun, als freischaffender Künstler, viel mehr mit der Organisation der Gala zu tun, als zu seiner Zeit beim Staatsballett. Aber selbst ist der Mann. Malakhov hat (wieder einmal) jede Menge Ballettstars für sein Projekt gewonnen. Darunter der alterslose Paradiesvogel Diana Vishneva, die charismatische Lucia Lacarra von der Bayerischen Staatsoper und – zur Freude aller Berliner Ballettfans – Rainer Krenstetter. Der Tänzer hat seine Karriere beim Staatsballett unter Malakhovs Leitung begonnen. Heute ist er der gefeierte Erste Solotänzer beim Miami City Ballet und wird in den USA als der kommende große Balanchine-Tänzer gehandelt. 

Aber auch Vladimir Malakhov selbst wird wieder auftreten. Genauer, wieder in Berlin auftreten. Denn aufgehört zu tanzen – das hat er natürlich nicht: Ich habe die ganze Zeit getanzt – im Mariinski Theater in Sankt Petersburg etwa und bin auch sonst aufgetreten, wenn sich Gelegenheit ergab. Natürlich arbeite ich jetzt mehr als Lehrer, helfe beim Einstudieren. Aber ich wurde andauernd gefragt, wann ich endlich in Berlin auftreten werde. Also habe ich beschlossen, den Taglioni-Wettbewerb für Nachwuchstänzer, den ich letztes Jahr ins Leben gerufen habe, zu verschieben. Stattdessen lasse ich Malakhov & Friends wieder aufleben.

Gerne hätte Vladimir Malakhov etwas Neues für die Gala einstudiert – denn Choreografen überschütten ihn nach wie vor mit Angeboten.

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Ida Koitila – ich suche nach Paradoxen. Die schwedisch-finnische Künstlerin mit einer umfangreichen Ausstellung im Finnland-Institut

Ida Koitila ist seit zwei Jahren Wahlberlinerin. Zuvor war die junge schwedisch-finnische Künstlerin in vielen Ländern unterwegs. So ist es mit den Kreativen heutzutage – sie halten sich nicht an die Grenzen und achten auch sonst nicht darauf, was gesellschaftlich oder in der Kunst als festgelegt gilt. Ida Koitila zum Beispiel arbeitet gerne damit, was andere wegwerfen – abgebrannten Streichhölzern oder Glasscherben. Ein Besuch im Atelier.

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In einer Ecke steht ein kaputtes Fahrrad, auf dem Fensterbrett – ein kleiner trauriger Plüschlöwe vom Flohmarkt. An der Wand – ein paar leuchtende Neonröhren und eine mobile Heizung. Sie reicht nicht aus.


Es ist kühl. Ida Koitila gräbt sich tiefer in ihren dunkelblauen riesigen Pullover hinein und greift zur Teetasse& „Ich mache Bildhauerei und das ist nicht immer so sauber.“

Gerade stellt sie kugelförmige Figuren her, aus etwas her, das an gewundene Korallenstränge erinnert: „Das Material ist Stacheldraht, und dann mach ich Kerzenmischung darüber. Ich mach das in einem Topf für Glühwein, dann mach ich Wasser und da oben Stearin und dann mach ich den Stacheldraht da rein.“

Die Stacheldraht-Korallen werden ein Teil der kommenden Ausstellung sein. Dass die Objekte organisch aussehen, amüsiert ihre Autorin: „Ich habe gemerkt, dass seit ich wohne in Berlin, dass meine Arbeit ist ein bisschen mehr urban. Das ergibt diese Paradox zwischen der Stadt und meiner Kindheit, dass ich habe verbracht an der schwedischen Küste.“

 

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Ida Koitila ist in Schweden in einer finnischen Familie geboren. Eine Künstlerin – das wollte sie schon als Kind werden. Ausflüge in die Welt der Architektur und des Textildesigns waren kurz. Ihre Bestimmung fand Ida Koitila an der Akademie der schönen Künste in Helsinki. Heute ist sie 32 und macht Kunst, indem sie Gegenstände und Räume auf paradoxe Weise miteinander verbindet: „Das Material für mich ist so neutral. Ich möchte gerne sehen das Objekt frei von allen Vorstellungen, die wir haben von das, z. B. der Stacheldraht, ich bin nicht so interessiert, was bedeutet Stacheldraht heute für uns in einem politischen Bild, im Gegenteil, ich bin sehr interessiert, was ein Material kann sagen über etwas total anderes. Ich denke, das ist eine gute Beschreibung meiner Arbeit. Das ist nicht direkt möglich zu sagen, was genau ist das. Du brauchst Zeit und auch ein bisschen Phantasie vielleicht.“

Ida Koitila setzt ihre massive Brille ab. Ein schwarzes Gestell. Plötzlich wirken ihre Gesichtszüge fast filigran. Keine Schminke, kein Schmuck. Aus den überlangen Pulliärmeln gucken nur Fingerspitzen heraus. Sie spielt mit winzigen schwarz-weißen Würfeln, die auf dem Couchtisch herumliegen. Einige sind mit roten Punkten versehen. Ein Fotoposter an der Wand zeigt wie diese Würfel, Seite an Seite zusammengelegt, ein Muster ergeben. Es wirkt komponiert, ist aber zufällig entstanden. Das Werk soll über zwei Meter hoch werden. Eine Art Stele. Der Titel – Lebensgefahr. Die Idee dazu hatte Ida Koitila, als sie in Lychen lebte und das KZ Ravensbrück besuchte. Und nach einem Aufenthalt in Frankreich ist eine Girlande aus Feuersteinen und Kordelstoppern von Kaputzen entstanden. Ein urzeitliches Silizit und Plastik – zu einem Strang verknotet. Ida Koitila nennt das Werk DNA.

Ich mache verschiedene Arbeiten in verschiedenen Ländern, aber mein Arbeitsprozess ist immer ähnlich.“

So ist auch Berlin für Ida Koitila – nur ein weitere anregende Station: „Ich sehe das wie eine große Wohnung, und dann Berlin ist vielleicht meine Küche und dann das Wohnzimmer ist Helsinki, und vielleicht so der Abstellraum ist Schweden. Wenn ich fliege nach Schweden, das ist eine Stunde. Das ist schneller als wenn ich möchte nach Potsdam fahren. Ich bin ein bisschen rastloser Charakter, und deswegen passt das sehr gut.“

Und was ist mit Heimweh? „IKEA!, das funktioniert immer, das ist nicht weit weg von mir, ich gehe da manchmal für Köttbullar. Ich habe immer gedacht, ich habe kein Heimweh, aber wenn ich habe gesehen mein letztes Kunstwerk, dieses aus Stacheldraht, das sieht aus wie die Küste in Schweden.“

Ida Koitila wirkt plötzlich verlegen. Sie mag Paradoxa in ihrer Kunst – und nun hat sie eines im eigenen Leben entdeckt.

Zum Radiobeitrag auf Kulturradio vom RBB:

http://www.kulturradio.de/zum_nachhoeren/index.html

Ida Koitila: Crash of Air.

Vernissage: 28.01.2016 19.00 – 21.00 Uhr

29.1.–18.3.2016: Mo–Mi 11–17 Uhr, Do 11–19 Uhr, Fr 11–15 UhrFinnland-Institut, Georgenstr. 24 (1. OG), 10117 Berlin

Infos im Netz unter www.finnland-institut.de

 

Ja, nein, vielleicht… Eine Reportage über Entscheidungen und Wege, sie zu treffen.

Helfen Bauchgefühle bei Entscheidungen?

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Gesünder essen, regelmäßig joggen, den Job wechseln, eine Firma oder eine Familie gründen? Fast jedes neue Jahr beginnt mit Plänen und Überlegungen. Aber wie treffen Menschen ihre Entscheidungen. Klug abwägend, das Für und Wider bedenkend oder doch eher spontan und emotional? Und wer spielt die Hauptrolle? Die Vernunft oder der Bauch oder ist der Bauch ein vernünftiger Ratgeber?

Zum Nachhören bis 08.01.16:

http://www.kulturradio.de/programm/sendungen/160102/zeitpunkte_reportage_1704.html


 

Krieg und Mode. Zaza Burchuladzes Roman „Adibas“ ist auf Deutsch erschienen.

Adibas – das klingt wie Adidas, neben Nike, Puma und anderen eines der bekanntesten Sportlabels der Welt. Doch Adibas ist keine echte Marke, sondern ein Fake. Und darum geht es in dem Roman von Zaza Burchuladze – um gefakte Mode, die wie echt aussieht und um einen echten Krieg, der sich nicht echt anfühlt.


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Es geht um Krieg.

Der Untertitel des Buches lautet „Stell dir vor, es ist Krieg und du bist falsch angezogen“.

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Dolby surround. Die rumänisch-schweizerische Autorin Dana Grigorcea lebt zwischen Bühne und Schreibtisch.

Porträt von Dana Grigorcea, einer rumänisch-schweizerischen Autorin, die 2015 für ihren Roman "Das primäre Gefühl der Schuldlosigkeit" mit dem 3sat-Preis während des Klagenfurther Lesewettbewerbs ausgezeichnet wurde.

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In diesem Juli hatte Dana Grigorcea einen richtigen Lauf. Am Fünften – Freudentränen, überschwängliche Kritiker und Selfies im Kreis der Gewinner des Ingeborg-Bachmann-Wettbewerbs. Und eine Woche später – Züricher Operntheater, Premiere. Capuleti i Monthecchi.

Da spiele ich die Mutter von Giulietta und am Anfang trete ich auf sehr prominent als Giuliettas Mutter und danach sterbe ich und es gibt so eine Drehbühne und ich komme immer wieder als Tote mit weit aufgerissenen Augen… Sehr dramatisch geschminkt…

Dana Grigorcea hat schwarze, wirklich sehr schwarze Augen. Sie hätte auch schon ein paar graue Strähnen im langen Haar – aber sie tönt es: So sei es besser für die Bühne. Dana Grigorcea ist sehr gerne Statistin am Theater. Früher hat sie Regie studiert, aber die Bühnenauftritte genießt sie vor allem wegen der Musik.

 Es ist ein ganz fantastisches Ergebnis, weil ich mit Weltstars auf einer Bühne stehe und die singen um einen herum – ich habe Dolby Surround..

Dieses Mittendrin scheint ein wesentlicher Aspekt  im Leben von Dana Grigorcea zu sein. Sie hat zwei Pässe, den Schweizerischen und den Rumänischen. Sie schreibt auf Deutsch über Rumänien. In ihrem zweiten Roman „Das primäre Gefühl der Schuldlosigkeit“ steckt die Protagonistin erst mitten in einem Banküberfall und dann mitten im Trubel der Erinnerungen und Geschichten aus einem vergangenem Leben. Einem Leben in Bukarest, Dana Grigorceas Heimatstadt. Und auch dort steckte sie selbst übrigens mittendrin – zwischen zwei Lebensentwürfen.

Ich bin auf einer Straße aufgewachsen, die übrigens auch in meinem Roman vorkommt und am einen Ende der Straße ist die Bukarester Oper, ich habe Ballett gemacht und war dreimal die Woche in den Vorstellungen und am anderen Ende der Straße sind noch die Tennisarenen und da habe ich Tennis gespielt… ich habe Profitennis gespielt..

Ja, ja, bis sie 16 wurde, hat Dana Grigorcea ernsthaft an Turnieren teilgenommen. Heute, mit 35, spielt sie Tennis nur noch zum Spaß. Sie ist immer noch athletisch – schlank, graziös, mit gerader Haltung.  Irgendwie kaum zu glauben, dass sie zwei Kinder hat – drei und fünf.

 Ich schreibe, wenn sie nicht da sind… aber ich kann weiter spinnen in Gedanken an meinen Texten, wenn ich bei ihnen bin… Sie schlafen sehr schwer ein,  ich liege da in ihrem Zimmer manchmal eine Stunde lang oder zwei Stunden, bis sie eingeschlafen sind. Und dann überlege ich mir, dann denke ich an Literatur, an die Bücher, die ich gelesen habe, dann drängen sich mir Personen über die ich schreibe auf und ich formuliere weiter und dann, wenn ich Zeit habe zum Schreiben dann geht es ganz einfach. 

Dana Grigorcea hat merklich Spaß daran, schöne, durchdachte Sätze zu komponieren. Auch in ihren Romanen gestaltet sie plastische Bilder und vermittelt subtile Empfindungen, wie etwa vom süßen Duft der blühenden Linden in der klebrigen Sommerhitze Bukarests. Ihren ersten literarischen Erfolg hatte Dana Grigorcea ganz unverhofft.

 Ich habe in der Schulzeit habe ich eine große Reise nach Jerusalem gemacht, dann habe ich Tagebuch geführt für meine Eltern. Und wie so Eltern sind, haben sie immer allen Gästen bei uns im Hause aus diesen Tagebüchern vorgelesen… und die Freunde haben es anscheinend genossen und die Tagebücher ausgeliehen.. und irgendwann rief mich eine Dame an, von der „Romania literara“, der damals größten rumänischen Literaturzeitschrift an, ich solle doch bitte mein Honorar abholen… und so habe ich erfahren, dass sie Ausschnitte aus meinen Tagebüchern publiziert haben.

Der Erfolg als Autorin kam in Zürich. Nachdem sie in Brüssel und Gent,  in Wien und Bonn gelebt und gearbeitet hat. Doch in ihren Büchern schreibt Dana Grigorcea über Rumänien und Bukarest.

Man schreibt über das was man kennt. Aber es geht mir auch darum, wie man eine Stadt wahrnimmt, nachdem man in vielen anderen Städten gelebt hat…

 

für Kulturradio, rbb

 

 

„Fragen Sie mich bloss nicht, wie ich das mache!“ Primaballerina Assoluta Maya Plisetskaya. Ein Porträt.

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Zum Anhören hier klicken:

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Eine Sendung von Vera Block.

Erstausstrahlung: Kulturradiodio vom RBB, 2010.

Alle Rechte vorbehalten.

Der Neujahrstag. Über die Rückeroberung des Buches.

Wann darf ich endlich anfangen, ohne es mir gleich
am ersten Tag im Jahr mit der Hälfte meiner Bekannten zu verderben?
Wann erwische ich sie – schon wach, aber noch nicht auf dem Sprung?
Es ist ein Morgen der Fragen und des strategischen Überlegens.
Denn es soll der Tag werden, an dem ich zurückhole, was mir gehört.
Und zurückgebe, was nicht meines ist.

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Statt auf dem Sofa eine Decke um die Beine zu wickeln und Reste aufzuessen,
die erwiesenermaßen das Beste am Neujahrsmorgen sind,
breite ich auf dem Küchentisch einen Stadtplan aus, stelle eine Route zusammen,
überlege, wie viel Zeit ich für die eine oder andere Entfernung brauchen
werde. Wenn das alles fertig ist, drehe ich Kreise um das Telefon und
werfe ungeduldige Blicke auf die Uhr. Darf ich schon, oder immer noch
nicht? Jetzt aber!

Die Frau am anderem Ende der Leitung klingt verschlafen – ich lasse mich nicht abwimmeln und kündige meinen Besuch an.

Zum Schluss frage ich nach, ob sie denn noch mein Buch hat.
„Welches Buch?!“


Na dieses, das du so unbedingt lesen wolltest. Du hast mich doch im Juni regelrecht dazu gezwungen, es dir zu leihen. Ich habe mich gewehrt, habe mehrmals versucht so zu tun, als ob ich deine Bitte vergessen hätte und gab dann schließlich nach, um dir das Buch in einem Café in der Oranienburger Str. feierlich zu übergeben. Du hast mir den Kaffee bezahlt und gabst das Versprechen, das Buch übernächste Woche zurück zu bringen.

Das war im Sommer.

Und jetzt hole ich es mir zurück. Das Buch, das in mein Regal gehört und nicht in fremde Schränke!

Der erste Januar ist der perfekte Tag, um Geliehenes zurückzufordern.
Und einer der wenigen im Jahr, wo die Zeit dafür da ist. An jedem anderen
Tag wird garantiert etwas dazwischen kommen – Überstunden, Krankheit der
Kinder, ausgefallene Busse, Vergesslichkeit. Am Neujahrstag habe ich meine
Schuldner im Schwitzkasten. Verschlafen, leicht verkatert, antriebslos!
Leichte Beute für den Gläubiger, der bereit ist, jede Entfernung
zurückzulegen, um endlich die Schulden einzutreiben.

Der Plan ist einfach, erfordert aber soziales Fingerspitzengefühl.
Während manche Bekannte über meinen Besuch vorgewarnt wurden, müssen andere überfallen werden.

Sturm und Drang ist die Devise, wenn man schnell und
unbeschadet die Buch-Befreiungs-Aktion durchführen will:

Klingeln, hereinstürzen, Küsschen-Küsschen, Käffchen, na-wie-gehts-denn-so-mann-haben-wir-uns-ewig-nicht-gesehen-oh-ich-muss-ja-wieder-los….
Und dann schlage ich zu.

Betroffene Gesichter: „Ja-a, wart´ mal kurz. Irgendwo hab´ ich es doch neulich gesehen. Danke, schönes Buch! ( manchmal guckt man mir dabei nicht in die Augen. Dann weiß ich, dass es bestenfalls zur Hälfte durchgeblättert wurde). Aber was soll´s! Hauptsache, ich halte es wieder in der Hand. Das Buch, das mir gehört.

Manchmal muss ich auf meinen Neujahrstouren durch die Stadt auch Abstecher zu den Menschen machen, denen
ich was schulde. Dieses ist aber ein leichtes Spiel – um mir unangenehme
Entschuldigungsarien zu ersparen, verpacke ich das Objekt in buntes Papier,
schreib ein Grußkärtchen und schiebe den Umschlag auf die feine englische
Art in den Briefkasten. Und weiter geht’s  zur Befreiung vermisster Bücher aus der freundschaftlichen Geiselhaft.

Das Wiedersehen mit verliehenen Büchern löst bei mir oft Beklemmung aus.
Das Buch riecht anderes. So riechen manchmal Menschen, die man nach langer
Zeit wieder sieht, umarmt und merkt, dass man sich wieder aneinander
gewöhnen muss. Nie wieder, schwöre ich mir dann jedes mal. Nie wieder leihe ich ein Buch aus! An niemanden. Nie!

Nun ja. Jedes Jahr, am ersten Januar, stehe ich gegen 10 Uhr auf. Trinke
meinen Kaffee und greife zum Telefon. Ich muss wieder mal zurückerobern,
was in mein Buchregal gehört. Wieder die Stellen im Schrank suchen, wo die
Bücher mal standen. Sie hineinschieben, die Reihe angleichen.

Erleichtert ausatmen und mich dann auf das Sofa schmeißen, Beine ausstrecken, in eine warme Decke einwickeln und endlich! endlich! … die Reste vom Silvestertisch aufessen, die bekanntermaßen das Beste am Neujahrstag sind.

 

 

Mit der Stasi im Lotussitz. Als Buddhist in der DDR.

Zum Anhören der Sendung auf den Link klicken.

http://www.kulturradio.de/programm/sendungen/141109/gott_und_die_welt_0904.html

 

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Er hat sich Bambus auf den Körper tätowieren lassen – ein Zen-Symbol.  Die buddhistische Weltanschauung, sagt Mischa Naue, hat ihm die Kraft zu immer neuen Fluchtversuchen aus der DDR gegeben und half ihm, das Stasi-Gefängnis zu überleben. Geboren im dem Jahr, als John F. Kennedy seinen historischen Satz „Ich bin ein Berliner“ aussprach, ist Mischa Naue ein Berliner zwischen Zen und SED, zwischen Ost und West geworden.

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Heute ist er ein Weltenbummler und Neuköllner, Koch und Lebenskünstler – ein echter Berliner Junge

 

 

Dmitrij Vrubel und der Kuss auf der Mauer