Er war Siegfried im Jahrhundertring von Patrice Chéreau und er war ein Teenie-Start. Ein weltweit umjubelter Heldentenor und ein versierter Entertainer. Ein Besuch bei René Kollo.
Im Wohnzimmer von René Kollo hängt ein Gemälde. Das Porträt eines Clowns, der sitzend an einem Tisch lehnt. Herunterhängende Schultern, bunte Ballonhose, eine rote Kugelnase. Und kein Gesicht.
„Das habe ich mal in Paris gekauft. So sehe ich aus nach dem Tristan – gesichtslos, völlig zusammengesunken, der Clown, der seine Schuldigkeit getan hat.“
Um den Tristan durchzustehen, ließ sich Kollo in den Bühnenboden kleine Wasserquellen einbauen. Ähnlich aufgebaut wie die Trinkflaschen der Rennfahrer, steckten sie im Bühnengras. So konnte der Sänger schnell daran nuckeln, bevor es weiterging. Ein Heldentenor, erklärt Kollo, ist wie ein Langstreckenläufer:
„Verdi- und Puccini-Sänger sind Kurzstreckensänger, sie haben ein kleines Duett, dann haben sie eine Arie, dann haben sie erst einmal eine Stunde Pause… Die könnten einen Tristan oder Siegfried überhaupt nicht singen, weil das sind fünf Stunden hintereinander. Am Ende von Siegfried… da habe ich gesagt – jetzt können wir anfangen, jetzt sind wir richtig drin.“
René Kollo ist ein waschechter Berliner: „Ick bin ein Berliner“, macht er mit amerikanischem Akzent den Präsidenten Kennedy nach. Kollos Großvater Walter war einer der wichtigsten deutschen Operetten-Komponisten. Der Vater Willi hat maßgeblich das Berliner Kabarett der 20er – 30er Jahre geprägt und konnte während der Nazi-Zeit nur eingeschränkt arbeiten. Der wohlklingende Name Kollo ist wie ein Erbstück von einer Generation auf die nächste übergegangen. Im Pass heißen sie alle noch ostpreußisch „Kollodzieyski“. Im Berlin der 50er Jahre zog es Kollo, den Dritten, zum Schauspiel.
„Ich wollte Hamlet spielen! All diese Sachen. Dann bin ich zu einer Gesangslehrerin gekommen, weil ich die Stimme ein bisschen vergrößern wollte… Und die sagte sofort – Oper! Und ich war überhaupt nicht mit Oper… Aber na ja, nach sieben Jahren hatte ich ein Vorsingen und wurde sofort in Braunschweig engagiert … Kein zurück mehr! Dann habe ich gesagt – ich gebe mir fünf Jahre. Und wenn das nicht läuft dann mache ich Schauspiel. Und dann ging ich nach Düsseldorf. Und 1969 ging ich nach Bayreuth. Dann kam der Dirigent Georg Solti, Aufnahme „Tannhäuser“, dann kam Karajan, mit der Aufnahme „Meistersinger“. Und Salzburg und so weiter, also die ganze Welt. Da war gar nicht dran zu denken, an den Hamlet… der war nun gestrichen.“
Zwischen 1969 und 1985 war René Kollo Parsifal, Lohengrin, Siegfried und Tristan auf dem Grünen Hügel. Umjubelt. Er vermisst Bayreuth immer noch. Fährt aber schon lange nicht mehr zu den Festspielen. Die Inszenierungen der letzten Jahre – die mag er meist nicht. Seine Wut über die Regieleistung Frank Castorfs ist auch nach vier Jahre nicht abgeklungen.
"Das war so grauenvoll, dass ich fünf Stunden und zwei Flaschen Rotwein gebraucht habe um wieder Leben zu können. Und auch der Tristan von Fräulein Wagner, der ganze Schluss von Fräulein Wagner ist so verblödet, dass es mit dem, was Richard Wagner je an grandiosem Ding geschrieben hat, überhaupt nicht zusammenkommt."
Er sei nicht aus Prinzip dagegen, sondern weil er Wagner so sehr liebe. René Kollo hat auch ein Buch über Wagner geschrieben, das einigen Rezensenten zu wenig Kritik am geistigen Oevre des Komponisten enthielt. Der Verfasser selbst hält seine Wagner-Biografie für sehr gelungen
„Weil ich Wagner sehe in seiner Zeit. Ich sehe Wagner nicht nach Kriegsende von einem Krieg, der für Wagner gar nicht vorstellbar gewesen wäre… Hitler ist 12 Jahre nach Wagner überhaupt erst geboren worden, nach Wagners Tod! Und Wagner wird danach – kann man vielleicht verstehen – in ein Topf geworfen mit allen Grauenhaftigkeiten, die auf dieser Welt stattgefunden haben. Das ist nicht richtig. All die Sachen, die Wagner gesagt und getan hat sind ja nur aus Seiner Zeit erklärbar.“
Zwei Seelen wohnen in meiner Brust, sagte einst Faust. Bei René Kollo sind es drei, mindestens. Der ultimative Wagner-Interpret ist auch Autor einiger Geschichtsbücher. Auch ein Krimi rund um die Tannhäuser-Thematik hat er geschrieben. Und in den Sommern in Bayreuth hat Kollo auch noch einen Flugschein gemacht.
„Ich finde es viel zu langweilig, wenn man ein Ding sein ganzes Leben macht. Alles, was ich mache, hat ja mit Musik zu tun. Jean Cocteau glaube ich, der hat es mal gesagt – „ich springe vom Ast zu Ast aber ich befinde mich immer im selben Baum“… Ich möchte alle ein Bisschen antouchen, kennenlernen auch.“
René Kollo ist etwas gelungen, was die meisten seiner Opernkollegen nicht mal versucht haben – er war gleichermaßen als Erster Tenor und als Entertainer erfolgreich. Moderierte jahrelang im ZDF, trat mit Peter Alexander und Udo Jürgens auf, brillierte in Operetten auf der Bühne und in TV-Produktionen. Vor allem die "Lustige Witwe" schätzt Kollo.
„Das, was der Lehár da an flirrigem Silber geschrieben, ist musikalisch unglaublich schön. Und es hat soviel gehabt, dass, meiner Meinung nach, Dürrenmatt das ganze Thema geklaut hat für den "Besuch der Alten Dame".“
Und wenn René Kollo das sagt, hat er ein verschmitztes Lächeln, das genauso bubihaft charmant ist wie Anfang der 60er, als René Kollo, damals noch Student, unverhofft zum Teenie-Schwarm wurde. Als Pop-Sänger. Seine Hits wie "Hello, Mary Lou" oder "Schöne Rosen von Rio Grande" standen Wochenlang in den Charts.
„Als ich Mary Lou aufgenommen habe, habe ich gedacht, damit könnte ich ein Bisschen Geld verdienen… Niemals wird es berühmt.. und da war ich plötzlich so ein Teenager-Idol…“
Damals trug René Kollo einen schmalen Anzug und adretten Seitenscheitel. Heute trägt er das Haar länger und nach hinten gekämmt. Es ist vielleicht nicht die Mähne von früher, aber auch noch nicht ganz weiß. Die Form seiner großen Brille im goldenen Gestell war in den 80-ern angesagt. In der Hand hält er eine Hundeleine – am anderen Ende wuselt ein junger Dackel. Eigentlich hatte Kollo sein Leben lang Boxer, aber im Alter ist es schwierig geworden, mit großen Tieren zwischen dem Hauptwohnsitz auf Mallorca und Berlin zu pendeln. Auch sein Gang ist schwerer geworden. Vor allem, wenn nach einem Konzert die Müdigkeit in den Knochen sitzt. Die Stimme aber – sie ist noch da.
„Ich habe eine gewisse Berlinerische Faulheit. Und diese Faulheit hat mich gerettet – nie zu viel zumachen, auch mal Pause zu machen… das hat mich gerettet. Denn ich kann heute singen, was ich will! Ich würde jetzt körperlich keinen Tristan mehr machen, aber sonst kann ich machen was ich will. Und wer kann das schon mit 80!“
Der Radiobeitrag wurde ausgestrahlt vom WDR 3 Tonart am 20.11.2017