Opus Klassik 2023: Routinierte Begeisterung

Seit 2018 verleiht eine Jury aus Musiklabels, Veranstaltern, Verlagen und einflussreichen Personen der Klassikwelt den Opus Klassik. Es ist ein Branchentreff und eine opulente Gala in einem der schönsten Säle Berlins – im Konzerthaus am Gendarmenmarkt. Anschließend kann man die Verleihung im ZDF anschauen. Gestern Abend war es wieder so weit. Klassik-Stars, Dankesreden, Applaus, roter Teppich.

Dirigentin Joana Mallwitz auf dem roten Teppich.  © VeraBlock

Gleich zu Beginn allerdings – eine Enttäuschung. Die hohe Treppe des Konzerthauses ist gesperrt. Das Gebäude ist von einem Baugerüst umzäunt. Der Platz davor wegen Umbau gesperrt. Keine imposante Kulisse für den roten Teppich also. Der ist innen in einem Nebenraum ausgerollt und könnte mit geschätzten zehn Metern Länge als der kürzeste rote Teppich der Welt in die Geschichte eingehen. Doch die Routinierin auf den roten Teppichen, Anne-Sophie Mutter, scheint diese Kleinigkeit nicht zu stören.

Keine Ahnung, ich habe die Teppiche nie nachgemessen. Ich finde ihn sehr schön und passend und habe ein paar meiner Musikerfreunde getroffen, also ich bin total happy, egal wie kurz oder lang der Teppich ist.“

Anne-Sophie Mutter.  © VeraBlock

Die berühmteste deutsche Geigerin bekommt dieses Jahr ihren zweiten Opus Klassik. Und auch den Vorgängerpreis Echo hat sie in dreifacher Ausführung zu Hause. Ob da noch Glücksgefühle aufkommen? Anne-Sophie Mutter hat gerade noch in ihrem smaragdgrünen Prinzessinenkleid auf dem roten Teppich gelacht – aber jetzt wird sie ernst: „Es ist schwer, diese Frage mit strahlendem Lächeln zu beantworten, weil wir ja alle unter dem Schock des schrecklichen Terrorangriffs auf Israel stehen. Und dagegen selbstverständlich alles verblasst und keine Wichtigkeit hat. Jetzt muss es nur um den Frieden gehen und um das Miteinander. Aber auch dafür steht ja die Musik exemplarisch. Und wenn der Opus Klassik für etwas steht, dann doch heute für die integrative Kraft der Musik. Sie ist einfach für alle ein verbindendes Glied und darauf hoffe ich.“

Der Opus Klassik wird in 27 Kategorien verliehen und verbindet alles, was irgendwie zum Oberbegriff Klassik passt – von schönstem Videoclip über die beste Konzerteinspielung oder den spannendsten Newcomer bis hin zu Kinderchor und Filmmusik. Die Besucherinnen und Besucher der Gala wollen aber vor allem eins: die Stars sehen.

Wir haben das immer mal im Fernsehen beobachtet, und wir sind ja Fans von einigen Künstlern und das wollten wir uns mal hautnah ansehen“

Erzählen zwei adrette ältere Damen: „Wir sind zum ersten Mal hier … Ich bin gespannt auf Countertenor Orlinski, Anne-Sophie Mutter kennen wir, David Garrett waren wir auch schon öfter zum Konzert, ja.“

David Garrett im Interview mir Fabian Köster.  © VeraBlock

Und da ist er schon, in den obligatorischen zerschlissenen schwarzen Jeans. Wartet am Rand des roten Teppichs bis er dran ist, denn noch hat die Schweizer Sopranistin Regula Mühlemann ihren Auftritt. Auch sie in Schwarz – Tüllrock, Spitze, Federn: „Ich suche meine Kleider immer selber aus und ich ändere immer ein bisschen was dran, meine Mama ist Schneiderin, diese Flügelchen, die habe ich dran gemacht bei diesem Kleid. Es ist immer schön, in diesem Rahmen in der Sendung dabei sein zu können, den Opus schauen viele Leute an. Und ich denke schon, dass es Wirkung hat und Ausstrahlung … dass wenn man Teil davon sein kann, dass man das Gefühl hat, ja diesen Glamour so ein bisschen nach außen trägt.“

Der Wunsch nach Glamour scheint bei dem Publikum genauso groß zu sein. Pailletten und Täschchen an goldfarbenen Ketten, Lackschuhe und Plateaustiefel, Schulter- und bauchfreie Ballkleider, Smoking und T-Shirts mit Statementprints. Das Berliner Publikum steht dem prunkvollen klassizistischen Saal in nichts nach. Während sich auf der Bühne Stars mit ihren Auftritten abwechseln, tauchen Lichteffekte die Wände in bunte Farben. Wird es dynamisch, strahlen sie rot und gelb. Wird’s traurig, leuchten die Wände bläulich-grün.

Dazwischen führt die Moderatorin Désirée Nosbusch mit ihren Gästen persönliche, fast schon intime Gespräche. Die Sopranistin Asmik Grigorian erzählt, dass sich daran erinnern kann, als Fötus ihrer Mutter beim Singen der Arie aus Madama Butterfly zugehört zu haben. Und der isländische Pianist Vikingur Olafsson verrät, dass er in Berlin gezeugt wurde. Als gute Gastgeberin hat Désirée Nosbusch keine Favoriten, na, fast: „Ich bin ein großer Fan von allen, die heute auftreten. Es ist ein ganz besonders Programm, wirklich, es zeigt eine unglaubliche Vielfalt der Klassik, ein neues junges Gesicht der Klassik, es sind tolle junge Künstler dabei, aber auf Abel Selaocoe freue ich mich ganz besonders.

Und so kündigt sie den südafrikanischen Cellisten an, wie gute Gastgeberinnen ihre besonders gelungenen Kuchen: „Das müssen sie, müssen sie, müssen sie hören“

Das Publikum bejubelt Abel Selaocoe.  © VeraBlock

Der Musiker enttäuscht nicht, bringt den Saal zum grooven und reist zum Schluss selbst Anne-Sophie Mutter und David Garrett von den Stühlen. Auch nach dem Ende der Gala ist Abel Selaocoe das Gesprächsthema bei Sekt und Käsehäppchen.

– Was meinem Sohn vor allem gefallen hat, dieser afrikanischer Musiker, (

– Dass er vor allem mit dem Mund die Stimme gemacht hat und Musikrhythmus und ja, es war einfach perfekt

– Am Beeindruckendsten fand ich diesen afrikanischen Künstler mit dem Cello, es lag an der Musik mit dem Orchester, dadurch kam so eine bombenmäßige Stimmung rüber. Das war das beeindruckendste.

Was jedoch die Frage zurücklässt – warum bei einer Veranstaltung zur klassischen Musik ausgerechnet der am wenigsten klassische Auftritt den größten Jubel bekommen hat.

Radiobeitrag für WDR 3 Tonart, 09.10.2023